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Sneh Victoria Schnabel

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ARTIKEL

"ICH KOMME WIEDER"
Sneh Victoria Schnabel 1998

Aufstellung zum Thema NS- Vergangenheit

Mit Aufstellungen zum Thema zweiter Weltkrieg und NS- Vergangenheit müssen wir uns in der letzen Zeit, vielleicht seit gut zwei Jahren vermehrt auseinandersetzen. Das war nicht immer so; ich erinnere mich noch an Zeiten, in denen sie hier und da auftauchten, immer mit dem Beigeschmack von Unerwartet und erschreckend, ja - schockierend, aber gottseidank selten. Damals war ich froh, die schlimmen Täter aus dem Raum stellen zu können, und voller Genugtuung, wenn das verbleibende System erleichtert aufatmete und dann "in Ordnung" gebracht werden konnte. Aus den Augen, aus den Sinnen, so ging ich damals, wie viele Kollegen auch, damit um. Die schlimmen Folgen waren dennoch viele Male im Raum noch spürbar, wie das einmal ein Teilnehmer sehr trefflich ausdrückte: " ... wie eine dunkle Wolke."

Auch hier können wir die Wirkung des morphischen Feldes ablesen, an dem, wie bei vielen von uns in den letzen Jahren die Aufstellungen zum Thema Krieg und Holocaust sich um ein Vielfaches vermehrt haben. Gleichzeitig hat sich der Umgang mit dem Thema Täter und Opfer stark gewandelt. Das ganze Geschehen bleibt sichtbar und fühlbar im Raum, und die Grenzen zwischen Freunden und Feinden, Gut und Böse, eben den Tätern und den Opfern verändern sich, lösen sich auf- und verändern unsere Denkhaltungen und Glaubenssysteme auf's Erstaunlichste. Das Verurteilen der schlimmen Tat ist so nicht mehr möglich, es tritt an ihre Stelle die Einsicht der Notwendigkeit der Anerkennung BEIDER Schicksale.

Sich vor den Opfern zu verneigen ist das Einfachere, schwieriger wird es, anzuerkenne, das auch die Täter einem größerem Ganzen untergeordnet waren, dem sie sich schwer nur entziehen konnten, genausowenig, wie sie sich den Konsequenzen in Form von Schuld und Sühne entziehen können. (Wo das versucht wird, tragen, wie wir wissen, die Nachkommen die Bürde, sich ebenfalls schuldig machend, schuldig an jener Anmaßung, die sagt: "Ich tu's für dich", und sich damit als Kind genauso über die Eltern stellend, wie in der anderen Variante: "Ich tu es auf keinen Fall, wie ihr."

Und trat nicht der größte Friede bisher ein, wenn das Kind sagen kann: "Ich bin wie du"? Oder: "ich bin dein Kind, mit allem was dazu gehört")?

Ohne die Anerkennung bleibt die Verstrickung in die Opfer oder in die Täter, manchmal in beide, und bleibt auf jeden Fall die Schuld der Anmaßung. Zusätzlich bekommt das, was nicht gesehen werden will (im Sinne von Anerkennung) gerade erst recht viel Macht.

Dazu erlebte ich neulich bei einer Aufstellung in einer schweizer Gruppe ein eindrückliches und auch erschreckendes Beispiel.

Bei einer Aufstellung ging es in einer Episode um den Großvater, der aus dem Krieg als gebrochener Mann heimkehrte. Sein größter Schmerz war, sich voller Hingabe mit ganzem Herzen in den Krieg begeben zu haben, aus Liebe zu seinem Vaterland. "Ich war so stolz auf Deutschland, mein Heimatland ... und jetzt fühle ich mich voller Schuld und Scham, und Deutschland ist zerstört."

Ich stellte jemanden für Deutschland und jemanden für den Nationalsozialismus in die Aufstellung mit hinein. Der Enkel und sein Vater standen schon. Für Deutschland hatte ich eine junge Frau gewählt, die, wie ich später erfuhr, Deutsche war, im Ausland aufgewachsen und erst seit einigen Jahren wieder in Deutschland lebte. Für den Nationalsozialismus wählte ich einen jungen Schweizer. ("wählen", ist zuviel gesagt, ich "griff" mir die am nächsten Sitzenden ...)

Deutschland stand mit hocherhobenem Kopf da, das Gesicht alsbald tränenüberströmt und vom Nationalsozialismus, den ich dazu gestellt hatte, weggedreht. Dieser stand zuerst starr, wendetet sich dann mehr und mehr Deutschland zu, bis er frontal davor stand, und fing dann langsam an, in die Knie zu gehen, mit dem Kopf ganz bis auf den Boden, von wo er schließlich unter Schluchzen sagte: "Wie furchtbar, ich habe Dich zerstört!" Deutschland nickte, immer noch mit hoch erhobenem Kopf, ohne den vor ihr, wie ein Kind knienden, anzusehen. Ich ließ ihn sagen: "Und ich bin doch dein Kind!", wobei Deutschland heftigst den Kopf schüttelte, weinte und weiterhin geradeaus schaute, offensichtlich vermeidend, den am Boden Knienden anzusehen. Ich gab den Satz: "Du bist mein Kind nicht mehr!", der mit heftigem Nicken von seitens Deutschlands angenommen wurde. Als die Vertreterin ihn aussprach ging ein kleiner Ruck durch den am Boden Knienden und das Schluchzen hörte schlagartig auf. Befragt, wie es ihm jetzt ginge, sagte er: "Ich bekomme jetzt einen harten Rücken, und spüre, wie ich böse werde." Dann erhob er sich und ging rückwärts langsam von Deutschland weg bis außerhalb des Kreises. Dort wirkte er erst einmal sehr geschwächt und ohne weiteren Einfluß.

Deutschland wirkte erleichtert und wir konnten mit der Geschichte von Großvater und Enkel weitermachen. (Der lösende Satz war übrigens, nachdem der Enkel den Großvater lange verdächtigt hatte, er habe sich im Krieg etwas zu Schulden kommen lassen: "Auch ich bin Deutscher!") Nachdem die Aufstellung mit Großvater und Enkel zu einem guten Abschluß gekommen war, fragte ich im Endbild noch einmal den Nationalsozialismus, wie es ihm jetzt ginge. Und das war sinngemäß seine Antwort: "Erst fühlte ich mich verstoßen und schwach, aber je länger ich hier draußen stehe, desto stärker werde ich, und ich weiß, ich komme wieder, mit mehr Kraft, denn je!"

Für eine Weile hatte es uns erst einmal die Sprache verschlagen. Bei der dann folgenden Besprechung war vor allem der Schweizer, der in der Rolle des Nazionalsozialismus stand, sehr erschüttert von seiner Erfahrung. Er habe sich wirklich erst böse werden fühlen, als er als Kind Deutschlands abgelehnt wurde. Seine "Emmigration" aus dem Kreis heraus, gab uns neue Einsichten, wie die Energien wirken können, die Neonazibewegungen in Nachbarländern und auch weit entfernten Kontinenten zustande kommen lassen.

Daß diese Aufstellung gerade in der Schweiz stattfand, mit nur einem kleinen Anteil deutscher Teilnehmer war eine Überraschung für uns alle. Es hat aber eine solche Welle von Verbundenheit zwischen allen Teilnehmern entstehen lassen, daß ich heute denke, daß auf diese Weise eine gute Art von Völkerverständigung geschaffen werden kann.

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